Tobias was born in Australia and is proud of both his German and Australian roots. He first properly learned German as a teenager, and has begun a new bilingual life since the birth of his daughter.
This piece was originally written in German, and is provided in its original form, as well as with an English translation (kindly provided by Tobias), below.

Mein liebes Kinderlein,
Wer bin ich? Wer will ich sein? Dies sind vielleicht einige der wesentlichsten Fragen, die wir in unserem Leben herausfinden. Die Volkszugehörigkeit gehört dazu.
Bevor du in diese Welt gekommen bist, habe ich (und natürlich auch deine Mutter) entschieden, dass ich mit dir auf Deutsch reden würde. Ich wollte dir von Anfang an die Möglichkeit geben, diese teils schwierige, teils wunderschöne Sprache zu beherrschen, sodass du dich mit anderen Leute auf der anderen Seite der Welt in ihrer eigenen Sprache unterhalten kannst, sodass du auch mit den dummen Deklinationsregeln kämpfen kannst! („Mit einem kurzen Blick nahm ein frecher Junge den teuren Rucksack des reichen Mannes“)
Jedoch ist die deutsche Sprache für mich nicht eine x-beliebige Sprache, sondern sie ist ein bedeutender Teil meines Deutschseins. Aber darf ich mich eigentlich deutsch fühlen, wenn ich hier in Australien geboren bin und keine deutsche Staatsangehörigkeit habe?
In Deutschland hat sich der Begriff des Deutschseins über die letzten Jahrhunderte sehr stark geändert. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ein deutsches Nationalbewusstsein erst ausgeprägt, als das Volk sich ein vereintes Groß– oder Kleindeutschland ausmalt. Teils wegen der verschiedenen Dialekte und Religionen quer durch das Land kulminiert diese Bewegung in einer ethnischen Volksgemeinschaft.
Die moderne Geschichte Deutschlands (und gewiss die Geschichten Europas und der Welt) repräsentiert die Lösung dieser Deutschlandfrage. Der deutsche Nationalismus und der Drang nach ethnischer Einheit waren aber wichtige Beweggründe für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Allerdings waren die Teilung Deutschlands während des Kalten Krieges und die Einbindung Deutschlands in die Europäische Union andere Versuche den deutschen Nationalismus zu verhindern.
Große Zuwanderung aus nicht deutschsprachigen Ländern (insbesondere der Türkei) hat auch das Deutschsein in der neueren Zeit geändert. In einer Umfrage von 2014 waren fast 97 Prozent der Befragten der Meinung „deutsch sei, wer deutsch sprechen könne“. Ungefähr 80 Prozent nannten das Vorhandensein eines deutschen Passes, und nur ein Drittel meinte „ein Deutscher müsse deutsche Vorfahren haben“.
Das ist ja alles schön und gut, aber Papa, du hast keinen deutschen Pass. Bist du nicht einfach deutschstämmig?
Vielleicht hast du Recht. Dennoch bedeutet deutschstämmig für mich etwas anderes. Mir sind gerade die Leute eingefallen, die einen genealogischen Gentest machen, bevor sie laut bekanntgeben, dass sie 12,84 Prozent deutschstämmig (und auch 0,92 Prozent Inder!) sind. Es hat überhaupt keinen Einfluss auf ihren Alltag, außer der Weißwurst, die sie einmal gekocht haben.
Obwohl meine eigene Erziehung nicht sehr „typisch deutsch“ war, hatte sie auch viele deutsche Elemente. Zum Beispiel – wie fast jede australische Einwanderfamilie zweiter Generation – tritt die deutsche Kultur bei Festen besonders in den Vordergrund, vor allem zu Weihnachten. Wir haben deutsche Lieder gesungen, deutsche Gerichte und Süßigkeiten gegessen und die Türen vom Adventskalender geöffnet (bevor Adventskalender in Australien modisch waren).
Deswegen habe ich mich immer in Deutschland ein bisschen zuhause gefühlt. Eine besonders geliebte Erinnerung meines deutschen Schulaustausches war, dass ich nach dem Fünfundzwanzigstundenflug zum anderen Ende der Welt das Tischgebet noch sagen konnte, weil ich es seit meiner Kindheit aufgesagt habe.
Trotzdem bin ich in einem multikulturellen Australien aufgewachsen, in dem man ziemlich stolz auf seinen Kulturkreis sein darf. In der Schulzeit wurden wir nach dem Land unserer Herkunft benannt, auch wenn unsere Vorfahren seit Generationen in Australien gelebt haben.
Aber es war hier natürlich nicht immer so. In den Siebzigerjahren wurden nicht-britische Einwanderer in Australien noch sehr verachtet, und dein Opa wurde als Kind oft Nazi genannt. Seine Eltern haben ihre ganze Familie ermutigt, sich in die australische Gesellschaft zu integrieren. Natürlich war es keine Frage, als er als Achtzehnjähriger zwischen deutscher und australischer Staatsangehörigkeit wählen musste. Zum Glück darf man heute zwei Pässe haben, aber leider darf ich keinen deutschen Pass erben.
Alles in allem darfst du (zum Teil) entscheiden, wer du sein willst und wem du gehörst. Vielleicht wirst du eine Australierin sein, die kein Deutsch kann. Vielleicht entscheidest du, nach Deutschland auszuwandern und als eine „echte Deutsche“ zu leben. Oder vielleicht machst du etwas komplett anderes!
Aber am wichtigsten ist, dass du dich vor jedem Acht hast, egal woher sie kommen und wer sie sind. Du sollst immer das Gewicht unserer Geschichte beachten. Sowohl in der deutschen als auch der australischen Geschichte gibt es wunderbare Akte der Menschlichkeit und auch furchtbare Gräueltaten. Obwohl du natürlich nicht für die Sünden unserer Väter verantwortlich bist, musst du achten, wie sie die Leben von anderen nachhaltig einwirkt, und immer vom Gang unserer Geschichte lernen und durch sie wachsen.
Mit all meiner Liebe,
Papa.
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On being German
My dearest child,
Who am I? Who do I want to be? These are perhaps some of the most important questions in life to work out, and ethnicity and where you belong is one aspect of this.
Before you came into this world, I (along with your mother) decided that I would speak to you in German. I wanted to give you the opportunity from your first breath to master this difficult yet beautiful language. I wanted you to be able to converse with people on the other side of the world in their own tongue, but I also wanted you learn the frustrating idiosyncrasies of German grammar just like I have!
But German isn’t just any old language to me – rather, it is an important part of being German. But can I possibly feel German, if I was born here in Australia and I don’t have German citizenship?
In Germany, the concept of ‘being German’ has changed quite markedly over the last few centuries. A sense of national German identity first took shape at the beginning of the 19th Century, as people began imagining competing visions of a united Greater Germany (Großdeutschland, which included Austria) or Lesser Germany (Kleindeutschland, which corresponds broadly to Germany today). Partly because of substantial differences in dialects and religion, these movements coalesced around an ethnic-racial German identity.
The modern history of Germany – and indeed the history of Europe and arguably even the world –tells the story of the resolution of this ‘German question’. German nationalism and the push for ethnic unity were of course important motivations for the First and Second World Wars. Certainly the division of Germany during the Cold War and the integration of Germany into the European Union were, in some respect, attempts to inhibit German nationalism from resulting in war breaking out again across Europe.
More recently, significant immigration (in particular from Turkey) has had a large influence on what it means to be German in today’s Germany. In a 2014 survey on being German, 97 per cent of respondents were of the opinion that being German is ‘being able to speak German’. Around 80 per cent answered that it was having a German passport, but only one third believed that it meant having German ancestry.
You may say: “Well that answers your question Papa – you don’t have German citizenship. Aren’t you then just of German ancestry?”
Maybe you are right. But German ancestry means something different to me. When I hear that, I can’t help but think of people who take a genealogy genetic test and then proudly claim that they have 12.84 per cent German ancestry (and look, 0.94 per cent Indian ancestry!). It doesn’t really have any influence on their day-to-day lives, except that they once cooked up a Weißwurst.
Even though my upbringing wasn’t necessarily ‘typically German’, it still had many German elements. For example – like many second generation migrants in Australia – the German culture was particularly noticeable at celebrations, especially at Christmas. We sang German songs, ate German delicacies and opened up Advents calendars (before they became popular in Australia).
For these reasons, Germany didn’t feel completely foreign to me when I lived there. A particularly cherished memory from my school exchange to Germany was that, after a 25-hour flight to the other end of the world, I could join in on saying Grace before lunch, because it was the same prayer that I had been repeating my entire life before eating.
Nonetheless, I grew up in a more multicultural part of Australia, where one could be proud of their cultural identity, especially if it was European. In my schooldays we were sometimes named after the country of our origin, even if our ancestors had been living in Australia for generations.
But it hasn’t always been like this. In the 1970s, migrants who weren’t from Britain were disdained, and your grandfather was often called a Nazi as a child growing up in Sydney. His parents encouraged the whole family to integrate into Australian society, and so it wasn’t even a question when he had to choose between German and Australian citizenship as an 18 year old. Luckily today it is much easier to have two citizenships in Australia, but it meant that I wasn’t able to inherit German citizenship.
All things considered, you are able to choose (to some extent of course!) who you want to be and where you belong. Maybe you will be an Australian who is unable to speak German. Maybe you will choose to migrate to Germany and live as a ‘real German’. Or maybe you will do something completely different!
But what is most important is that you respect everyone, regardless of where they come from and who they are. You should also always be aware of the weight of our collective histories. Both the German and the Australian chronicles are filled with beautiful acts of humanity and awful atrocities. While you are not responsible for the sins of your ancestors, you must recognise how these sins continue to have an effect on others’ lives, and always remember what has come before us and learn and grow from it.
With all of my love,
Papa.
© Tobias, 2021